Frontaler Angriff auf häuslichen Unterricht im ORF-„Bürgeranwalt“ zum Thema „Häuslicher Unterricht: Weniger strenge Kontrollen“

Der ungewöhnliche Fall eines 9jährigen Mädchens, das Homeschooling macht und – in den Augen des Vaters unverdienterweise – mit „sehr gut“ in der jährlichen Externistenprüfung abschnitt, wurde am 6.7.2019 dazu benutzt, in einem Filmbeitrag mit folgender Diskussionsrunde Stimmung gegen die gesetzlichen Grundlagen des häuslichen Unterricht zu machen. Alle Beteiligten sprachen sich für eine Verschärfung der zurzeit geltenden Bestimmungen aus, was einer de facto Abschaffung des häuslichen Unterrichts in Österreich gleichkäme.

Da viele Aussagen der im Film zu Wort kommenden Personen für sich sprechen, sollen sie an dieser Stelle zunächst weitgehend wörtlich – teilweise als Transkript  -wiedergegeben werden, ohne kommentiert zu werden. Ein Kommentar und die Stellungnahme des Vereins „Homeschoolers.at – Bildung zu Hause Österreich“ erfolgen an anderer Stelle.

Im Filmbeitrag, der die Fakten des Falles darstellen sollte, schilderte der von der Kindesmutter seit Jahren getrennt lebende Vater Herr A., dass seine bei der Kindesmutter lebende 9jährige Tochter gegen seinen Willen zu Hause unterrichtet würde und er den Eindruck hätte, dass ihre schulischen Kenntnisse nicht denen ihrer Altersgenossen entsprächen. Trotzdem sei die in der Steiermark lebende Homeschoolerin von der Externistenprüfungsschule in Wien in allen Fächern mit „sehr gut“ benotet worden.

Die Einschätzung einer Pädagogin

Um seinen Verdacht, dass diese gute Beurteilung nicht gerechtfertigt sei, zu erhärten, kontaktierte Herr A. die pensionierte Volksschuldirektorin Dolores Wilfing. Mit Hilfe eines Rechtsanwaltes nahmen sie Einsicht in die Prüfungsunterlagen. Die Pädagogin studierte diese und ortete prompt Defizite. Sie fand zunächst, dass die Prüfung nicht ausführlich genug dokumentiert worden war.

Wilfing: „Das war für mich kleiner Schock, dass das eine Jahresprüfung sein soll… Sachunterricht hat‘s gar nichts gegeben; nur mündlich. … Ich kann nicht vergleichen, ob das Lernziel erreicht wurde.“

Es wurde der Verdacht geäußert, dass die Schule in Wien gezielt gesucht worden war, da hier leichter geprüft wird – für die Beteiligten ein klarer Fall von „Externistenprüfungstourismus“.

Wilfing: „Viele Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, unterschätzen den Aufwand, den sie mit dieser Aktion dann haben. Es beginnt schon… fehlende Unterrichtsmittel, fehlende Wettbewerbe können die Eltern nicht bieten. Die Kinder können sich mit niemanden messen… das gehört auch dazu…  Zeichenwettbewerbe, darstellendes Spiel, Musizieren… alles gehört dazu… das wird kaum jemand daheim mit dem Kind so machen, dass es einen Spaß hat“.

Herr A. brachte den Fall schließlich sogar vor Gericht. Es gelang ihm jedoch nicht, dass seiner Tochter der häusliche Unterricht verboten wurde – daher ging er zum „Bürgeranwalt“.

Die Diskussionrunde im ORF „Bürgeranwalt“

Der Moderator Peter Resetarits hat den Vater des Kindes, Herrn A., und seinen Rechtsanwalt Dr. Gerhard Ederer ins Studio geladen, ebenso den gerade aus seinem Dienst ausgeschiedenen Volksanwalt a.D. Peter Fichtenbauer (FPÖ), den Wiener Bildungsdirektor Mag. Heinrich Himmer (SPÖ) und schließlich Frau Mag. Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen. Die Kindesmutter sei angefragt worden, habe aber abgelehnt, die private Situation ihrer Tochter im Fernsehen zu diskutieren.

Moderator Resetarits wendet sich mit einer Frage an Bildungsdirektor Himmer: „Kann man bei Externistenprüfungen tricksen, indem man sich bestimmte Schulen aussucht und dort Gefälligkeitszeugnisse bekommt?“ Himmer beteuert, dass der „Prüfungstourismus komplett verquer für Eltern, Kinder und Schulen“ sei und seitens der Stadt Wien für die Zukunft bereits mittels Verordnungen abgeschafft worden sei. Dort werde die Wahlfreiheit eingeschränkt und die Prüfungen dürfen nur noch an bestimmten Sprengelschulen abgelegt werden.

Nun meldet sich gleich Ex-Volksanwalt Fichtenbauer zu Wort: „Aus meiner grundsätzlichen liberalen Auffassung will ich nicht gegen das System des häuslichen Unterrichts per se sprechen. Aber… der ganze Katalog von Fertigkeiten, Fähigkeiten, Sozialkontakten, die jedes Kind in der Schule mitkriegt, alleine deswegen, dass es in der Klasse sitzt, dass es sich sozial bewegen muss, dass Querbezüge in den Unterrichtsfächern entstehen, das fehlt ja alles beim häuslichen Unterricht, daher ist der häusliche Unterricht – bitte, soll – die  Ausnahme der Ausnahme der Ausnahme sein, des is a Mist, aber bitte, insofern der Mist tolerabel ist, soll man ihn weniger mistig machen. Das ist ein Faktum.“

Der Rechtsanwalt Ederer fasst die Forderungen seines Mandanten zusammen, dass man bei der Bewilligung des häuslichen Unterrichts restriktiver vorgeht und dass die Externistenprüfung genauer dokumentiert wird. Außerdem will der Kindsvater bei der Prüfung dabei sein.

Die Meinung von Bildungsdirektor Himmer zum häuslichen Unterricht

Himmer: „Für mich als Bildungsdirektor ist überhaupt das Ziel, dass alle Kinder in eine Schule gehen, die auch in vielfältiger Weise vieles abdeckt. Wir haben Tausende Schulstandorte in Österreich und es ist für Jeden etwas dabei. Das ist meine persönliche Ansicht.

Auf der anderen Seite steht uns der häusliche Unterricht im Verfassungsrang zur Verfügung, dass die Eltern entscheiden können, ihr Kind eben nicht zur Schule zu schicken, sondern zu Hause zu unterrichten. Es muss kein Lehrplan vorgelegt werden.

Wir können versuchen, wenn die Eltern kommen, den häuslichen Unterricht anzumelden, in die Tiefe zu gehen, da ist aber rechtlich ganz dünnes Eis. Wir dürfen auch keine Begründung verlangen, warum nimmst du das Grundrecht in Anspruch.

Da sind wir dabei, SchulpsychologInnen einzubinden. Wir wollen auch nicht im Vorhinein alle verteufeln

Sektenbeauftragte Schiesser zur Frage: Wer macht häuslichen Unterricht?

Schiesser: „Es gibt durchaus auch Eltern, wo es um das Kindeswohl geht, wo eine Erkrankung des Kindes oder ein Aufenthaltsaufenthalt der Grund ist. Wir beobachten aber einen Anstieg der Abmeldungen, wo es um die ideologische Selbstverwirklichung der Eltern geht. Die haben entweder eine bestimmte religiöse Einstellung, dass sie nicht möchten, dass die Kinder Sexualkunde unterrichtet bekommen, Evolution unterrichtet wird, dass Mädchen mit Emanzipation Kontakt bekommen, wo es relativ engstirnige religiöse Konzepte gibt.

Oder die Idee, dass die Welt generell schlecht und böse ist, und das Kind soll rein gehalten werden, oder soll in einem scheinbar natürlichen Umfeld aufwachsen, da gibt es die Verteufelung des Technischen versus des scheinbar Natürlichen. Die Kinder sollen auf die Wiese gehen und Frösche fangen, das wäre besser für ihre Bildung, als wenn sie sich Wissen aneignen in der Schule … (auf Nachfrage) …bei Staatsverweigerern haben wir das relativ oft beobachtet, dass die das Schulsystem abgelehnt haben konsequenterweise, aber es kann auch der spirituelle Hintergrund sein.

Eine dritte Gruppe sind die Eltern, die selbst schlechte Erfahrungen mit der Schule  gemacht haben, oder die auf den Kindern draufkleben, Helikoptereltern, die die Kinder nicht aus den Augen lassen wollen, die ihr eigenes soziales System mit dem Kind abdecken.“

Der Plan von Volksanwalt Fichtenbauer und Bildungsdirektor Himmer, das Recht auf häuslichen Unterricht einzuschränken

Peter Fichtenbauer: „Das ist ein guter Hinweis, dass man etwas tun sollte, dass man sich auf legistischer Ebene mit der Sache befassen muss. Diese völlige Freistellung, die der Verfassungsgesetzgeber vermutlich aus historisch guten Gründen… wenn einer im Ötztal auf 2000 m Höhe wohnt, kann er das Kind nicht nach Innsbruck in die Schule schicken… aber, dass das System erlaubt, dass ein Irresein an der Welt die Grundlage dafür bietet, den Häuslichen Unterricht zu bevorzugen, das ist mir nicht einsichtig. Das werde ich schon tun, die Schulsprecher der Parteien auf das Problem aufmerksam zu machen. Das gehört verbessert, der Fall ist ein guter Grund dafür, einfach da ein bisschen in die Schranken zu gehen, zu sagen, jeder, der’s beantragt, Na – dem muss i ned recht geben. Häuslich… Ja, wenn Krankheiten sind, aus physischen Gründen, die die Teilhabe primär erschweren oder unmöglich machen.

Himmer: „Wir werden allen Schulen in Wien, die Externistenprüfungen machen, einen ganz klaren Leitfaden mitgeben. Wer muss dabei sitzen, welche Aufgaben hat der Direktor, was muss dokumentiert werden… Wir haben uns bemüht in Wien klare Eckpfosten einzustemmen, einerseits zu Beginn, dass klarer herauskommt, wer kann das wirklich leisten, den häuslichen Unterricht, aber auch am Ende, dass die Prüfungssituation so gestaltet wird, dass faire Noten herauskommen.

Für eine klarere Begründung für den häuslichen Unterricht bräuchte man eine Gesetzesänderung, das ist Rechtspolitik, und das unterstütze ich sehr.

Fichtenbauer: „Das ist in Österreich sehr kompliziert, weil es in den Ländern gemacht werden muss. Aber bitte – meine Lebenserfahrung zeigt, wenn man an den Hausverstand appelliert, kommt man relativ weit. Und der Hausverstand sagt einem, so kann’s ned bleiben, es gehört das Parlament und die schulrelevanten, politischen Systeme der Länder an einen Tisch, das wär‘ doch gelacht, wenn man das nicht fertig bringt. Wenn man ein Atommülllager fertig bringt und Weltraumtechnik, dann werden wir die Schule auch weiter bringen – so kann ned bleiben!

Lesen Sie auch unseren Kommentar und die Stellungnahme des Vereins „Homeschoolers.at – Bildung zu Hause Österreich“ unter Berichte, Meinungen und Stellungnahmen.